News / Info

31.10.2024

Kooperation mit Verein Ukraine Hilfe

Kooperation mit Verein Ukraine Hilfe

Diesen Herbst hat Green Cross Switzerland (GCCH) eine Kooperation mit dem schweizerischen Verein Ukraine Hilfe lanciert. Schon kurz nach Kriegsbeginn wurde der Verein in der Ukraine aktiv und hat bisher rund 120 Wohnmodule als Notunterkünfte für Personen errichtet, welche durch den Krieg ihr Heim verloren haben. So leistet der Verein einen wichtigen Beitrag dafür, dass Ukrainerinnen und Ukrainer im Land bzw. sogar an ihrem Wohnort bleiben können und neue Hoffnung schöpfen. Die Wohnmodule werden nämlich, soweit möglich, auf dem Grundstück des zerstörten bzw. unbewohnbar gewordenen Hauses errichtet. Das ist für die Bewohnerinnen und Bewohner ein wichtiger psychologischer Faktor. Sofern es die Kriegssituation zulässt, müssen sie ihre gewohnte Umgebung nicht verlassen.

Die Bewohnerinnen und Bewohner werden jeweils von der Gemeinde ausgewählt, wobei die Wohnmodule im Besitz der Gemeinde bleiben. So wird sichergestellt, dass die Wohnmodule nicht zweckentfremdet und nur von Personen bewohnt werden, die die Unterkunft wirklich brauchen. Auch haben die Wohnmodule den Vorteil, dass sie nicht als normale Häuser gelten: es braucht keine Baubewilligung und die Wohnmodule können falls nötig an einen anderen Standort verlegt werden – im Krieg ein wichtiger Faktor. Dank guter Isolation bleiben die Module im oftmals sehr kalten ukrainischen Winter auch im Falle eines Stromausfalls bewohnbar. Schliesslich ist die Herstellung der Wohnmodule in Winnyzja kostengünstig und fördert die Wirtschaft des kriegsgebeutelten Landes.

GCCH steigt nun diesen Herbst mit dem Sponsoring von zwei grösseren, komplett eingerichteten Wohnmodulen in das Projekt ein. Über unsere ukrainische Partnerorganisation werden wir die darin lebenden Familien eng begleiten. Der voraussichtliche Standort wird in Tschernihiw sein. Die Region liegt in dem von der Tschernobyl-Katastrophe betroffenen Gebiet, welches seit der Gründung einen Schwerpunkt der Arbeit von GCCH darstellt.

Die Kooperation mit dem Verein Ukraine Hilfe umfasst zudem das Anpflanzen von vielen tausenden von Bäumen – GCCH hofft, dieses Engagement auch in den kommenden Jahren fortführen zu können. Da ein grosser Teil der Wohnmodule aus Holz besteht und Nachhaltigkeit Teil der DNA unserer Stiftung ist, ist es uns ein Herzensanliegen, auch die Aufforstung zu fördern. Das Anpflanzen von Bäumen, aus denen mit der Zeit Wälder entstehen, hat vielfältige Vorteile. Wald hat eine wichtige Funktion für das lokale Ökosystem – und in der Ukraine ist ein im internationalen Vergleich (zu) kleiner Teil der Landesfläche bewaldet. Zudem ist jeder gepflanzte Baum ein Beitrag für den Schutz des Weltklimas und somit für die Zukunft der Menschheit.

Hier finden Sie weitere Informationen zum Engagement des Vereins Ukraine Hilfe.

20.09.2024

Vietnam: Bildung als Schlüssel

Vietnam: Bildung als Schlüssel

Seit der Gründung steht die Hilfe zur Selbsthilfe im Zentrum des Stiftungszwecks von Green Cross Switzerland. Dabei kommt der Bildung eine Schlüsselrolle zu, denn Bildung vermag Menschen die Mittel in die Hand zu geben, welche sie für eine selbstständige Verbesserung ihres eigenen Lebens und des Lebens von Menschen in ihrem Umfeld brauchen. Im Vergleich zu anderen Formen der humanitären oder Entwicklungshilfe ist Bildung langfristig wirksam und erfüllt das für Green Cross ebenso zentrale Kriterium der Nachhaltigkeit.

Gerade innerhalb unseres SOCMED-Programms in Vietnam (Social and Medical Care and Education) kommt der Aus- und Weiterbildung eine enorm wichtige Rolle zu. In abgelegenen ländlichen Regionen mangelt es nämlich oft stark an medizinischer Infrastruktur. Deshalb bleiben Behinderungen bei Kindern häufig zu lange unerkannt, mit gravierenden und sehr traurigen Konsequenzen für ihr ganzes Leben. Positiv betrachtet kann durch eine frühzeitige Intervention eine enorme Verbesserung der Lebensumstände und der Lebensqualität erreicht werden, auch für die Angehörigen der Kinder und letztlich für die ganze Gesellschaft. Hier setzen wir mit der Community Based Rehabilitation (CBR) an, also der Ausbildung von lokalen Gesundheitshelfer:innen.

Diesen Sommer fanden diverse Ausbildungskurse im Distrikt Yen Son, Tuyen Quang, statt. Schulungen für Gemeinde- und Bezirksgesundheitspersonal wurden in zwei Klassen mit 58 Teilnehmenden durchgeführt und von drei auf Rehabilitation spezialisierten Ärzten des Huong-Sen-Krankenhauses geleitet. Zudem fanden Kurse für Gemeindeangestellte in zehn Klassen mit insgesamt 335 Teilnehmenden statt. Diese Schulungen setzen sich zum Ziel, grundlegendes Wissen zur Früherkennung und Frühintervention bei Kindern mit geistigen und körperlichen Behinderungen in der Gesellschaft zu vermitteln und zu stärken. Weiter geht es darum, die nötigen administrativen bzw. organisatorischen Prozesse zu beherrschen.

Es wird ein breites Spektrum an Themen im Bereich der kindlichen Entwicklung (von der Geburt bis zum Alter von 16 Jahren) sowie der Früherkennung und frühzeitigen Intervention behandelt. Es reicht von Zerebralparese (u.a. Muskelsteife, Bewegungsstörungen), über Skoliose (Fehlbildungen), geistige Behinderungen, Sprachstörungen, Autismus oder Klumpfüsse bis hin zu typischen Sekundärverletzungen (Druckgeschwüre, Gelenksteife, Muskelkontrakturen, Fehlstellungen etc.).

Allgemein geht es bei den Schulungen auch darum, die breitere Gesellschaft auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen zu sensibilisieren, weil die Früherkennung so wichtig ist, um effektiv helfen zu können. In diesem Zusammenhang wird das Ziel verfolgt, dass Menschen mit Behinderungen sich gleichberechtigt an sozialen Aktivitäten beteiligen können, denn sie werden schmerzlicherweise immer noch vom gesellschaftlichen Leben und teilweise sogar vom Familienleben ausgeschlossen.

19.09.2024

2023: Kontinuierliches Engagement für Menschen in Not

2023 blieb die humanitäre Hilfe in der Ukraine ein Schwerpunkt der Tätigkeit von Green Cross Switzerland (GCCH). Wir konzentrierten uns auf die Gewährleistung der Trinkwassersicherheit in kriegsbetroffenen Gebieten. Denn die kriegsbedingte Verunreinigung des Trinkwassers stellt ein gravierendes, teilweise lebensbedrohliches Risiko dar, insbesondere für Kinder und ältere Menschen. Auch dieses Jahr ist es unser Bestreben, effektive humanitäre Hilfe unter sich rasch ändernden Bedingungen zu leisten.

Die Region rund um Tschernobyl bildet seit der Gründung einen Schwerpunkt der Arbeit von GCCH. Schon vor dem Krieg befand sich die Region in einer prekären Situation. Die kontaminierten Gebiete der Ukraine sind zwar eher weit von der Front entfernt, aber Raketeneinschlägen und anderen Kriegshandlungen ausgesetzt. Entsprechend verlagerten wir die Unterstützung auch dort von der Entwicklungshilfe auf die humanitäre Hilfe.

In Vietnam konnten wir unsere Projektarbeit erfolgreich weiterführen und einen Ausbau in die Wege leiten. Auch heute noch hat der Einsatz von Agent Orange im Vietnamkrieg vererbbare Genmutationen und schwere Missbildungen zur Folge. Gleichzeitig reicht die Unterstützung für die Leidtragenden bei Weitem nicht aus. GCCH leistet weiterhin einen wichtigen Beitrag zur kontinuierlichen Unterstützung von Agent Orange-Betroffenen, mit Fokus auf der orthopädischen Versorgung. Besonders bei Kindern ist aufgrund des Wachstums eine regelmässige Anpassung der Prothesen und Orthesen essenziell wichtig. 

2024 legen wir einen Fokus auf die Verstärkung der psychologischen Unterstützung und wollen diese weiter ausbauen. In der Ukraine nimmt die kriegsbedingte psychische Belastung immer gravierendere Ausmasse an, besonders bei Kindern und Jugendlichen. Mithilfe von Therapieangeboten bringen wir Licht in diese Dunkelheit. Auch in Vietnam arbeiten wir an einem Ausbau der psychologischen und sozialen Unterstützung für Betroffene von Agent Orange – Menschen mit Behinderungen werden dort oftmals vom gesellschaftlichen Leben und sogar vom Familienleben ausgegrenzt.

Das Team von GCCH dankt allen, die dazu beigetragen haben, die im Jahresbericht beschriebenen Hilfsprojekte umzusetzen und zahlreiche Menschen wirkungsvoll zu unterstützen.

Den vollständigen Jahresbericht finden Sie hier.

01.08.2024

Die unsichtbaren Narben des Krieges

Die unsichtbaren Narben des Krieges

Schmerzlicherweise zeichnet sich nach fast zweieinhalb Jahren immer noch kein Ende des Ukrainekriegs ab. Die unschuldigen Leidtragenden der Kriegsgräuel sind nach wie vor auf unsere Solidarität und Unterstützung angewiesen. Der Terror scheint vor nichts Halt zu machen. So wurde diesen Sommer Kiews grösstes Kinderkrankenhaus schwer durch eine Rakete beschädigt.

Auch in den letzten Monaten haben wir einen Beitrag zur Linderung der Kriegsnot in Form von materieller Unterstützung geleistet. Diese beinhaltet etwa Lebensmittel, Medikamente, Hygieneartikel oder die Ausstattung von Schutzbunkern, um nur einige Beispiele zu nennen. Ein grosses Projekt war letztes und vorletztes Jahr die Bereitstellung von Systemen zur Reinigung von kontaminiertem Trinkwasser.

Daneben braucht es dringender denn je eine Verstärkung der psychologischen Hilfe, da das bestehende Angebot bei Weitem nicht ausreicht. In der Schweiz sind uns die seelischen Verletzungen, die der Krieg den Menschen zufügt, oft zu wenig bewusst. Dies gilt in besonderem Ausmass für Kinder und Jugendliche. Deshalb bauen wir aktuell – nach erfolgreichen Pilotversuchen Anfang Jahr – ein auf Dauer angelegtes Angebot für psychologische Hilfe auf.

Seit einigen Monaten finden nun wöchentlich mehrere Therapiesitzungen mit Kindern und Jugendlichen in Kherson und Tschernihiw statt. Ein zentrales Element bildet dabei die Kunsttherapie. In der Regel finden die Sitzungen in Gruppen statt, aber auch Einzelsitzungen – beispielsweise für Kinder, die einen Elternteil verloren haben – sind Teil des Angebots. Im Fokus steht das Ziel, die Kinder und Jugendlichen dabei zu unterstützen, ihre Traumata zu verarbeiten und positive Bewältigungsmechanismen zu entwickeln. Es geht aber auch darum, das Umfeld für die Bedürfnisse traumatisierter Kinder und Jugendlicher zu sensibilisieren und der Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen in der ukrainischen Gesellschaft entgegenzuwirken.

Nur dank Ihrer wertvollen Unterstützung, liebe Spenderinnen und Spender, konnten diese Kinder und Jugendlichen dringend benötigte psychologische Unterstützung erhalten. Wir hoffen, auch in Zukunft auf Ihre treue Hilfe zählen zu dürfen, um das psychologische Unterstützungsprogramm noch stärker ausbauen und langfristig anbieten zu können. Sie zaubern damit ein Lächeln auf ein Gesicht, das von den Schrecken des Krieges gezeichnet ist.

04.07.2024

30 Jahre GCCH: Ehrung Roland Wiederkehr

30 Jahre GCCH: Ehrung Roland Wiederkehr

Anlässlich des 30jährigen Bestehens von Green Cross Switzerland wurde Roland Wiederkehr am 22. Juni 2024 für seine Lebensleistung geehrt und ins Patronat unserer Stiftung aufgenommen. Béatrice G. Lombard-Martin, unsere Stiftungsratspräsidentin, und unser Geschäftsführer Martin Bäumle überreichten Wiederkehr dafür feierlich eine Urkunde. Gemeinsam mit Michail Gorbatschow gründete Roland Wiederkehr im Jahr 1993 Green Cross International, im folgenden Jahr Green Cross Switzerland. Bis heute setzt sich unser Hilfswerk für die Betroffenen von menschengemachten Katastrophen ein. Was wir in den letzten 30 Jahren erreicht haben, wäre ohne die Pionierarbeit von Roland Wiederkehr nicht möglich gewesen.

Die Idee hinter Green Cross war, eine Organisation nach dem Vorbild des Internationalen Roten Kreuzes zu schaffen, die sich jedoch auf Umweltschutz, nukleare Abrüstung, Sicherheitspolitik und die Bewältigung von menschgemachten Katastrophen, insbesondere Industrie- und Militärkatastrophen, fokussiert. Ein wichtiges Ziel ist bis heute die rasche und langfristig wirksame Hilfe zur Selbsthilfe geblieben. Das länderübergreifende SOCMED-Programm (Social and Medical Care and Education) ist deshalb rasch zu einem Schwerpunkt unserer Stiftung geworden.

Seit der Gründung sind wir stark auf die Bewältigung der Tschernobyl-Katastrophe in den am stärksten betroffenen Gebieten in der Ukraine, Russland und Belarus fokussiert. Als eine von nur wenigen NGOs führen wir unser Engagement in diesem Bereich bis heute fort, soweit es die durch den Ukrainekrieg bedingten Umstände zulassen.

Zudem engagierten sich Roland Wiederkehr und Green Cross Switzerland erfolgreich im Bereich der Chemiewaffenregulierung und -vernichtung. So setzte sich Wiederkehr beispielsweise erfolgreich für die Beteiligung der Schweiz an der Umsetzung der Chemiewaffenkonvention ein. Seit 1998 sind wir auch in Vietnam tätig, wo der Einsatz des Entlaubungsmittels „Agent Orange“ im Krieg (1965-70) immer noch sehr gravierende Konsequenzen für Mensch und Umwelt hat. Wiederkehr erkannte, dass in diesem Bereich dringend Hilfe geleistet werden muss, weil sich die Verantwortlichen nach wie vor ihrer Verantwortung entziehen.

Nach der Ausweitung der Projektarbeit in zahlreiche weitere Länder folgte Mitte der 2010er-Jahre eine Fokussierung auf die Projektarbeit in der Region um Tschernobyl sowie Vietnam. Die Gegenwart wird vom Ukrainekrieg geprägt, d.h. von der dadurch bedingten Einschränkung der Projektarbeit in Belarus, der Umstellung auf Nothilfe für Kriegsbetroffene in der Ukraine und der vorläufigen Beendigung der Tätigkeit in Russland.

Roland Wiederkehr kann der Zukunft von Green Cross Switzerland zufrieden und optimistisch entgegenblicken. In den letzten Jahren konnte unsere Stiftung dank erfolgreichem Fundraising beträchtliche Reserven aufbauen und erhöht die Projektausgaben nun schrittweise. Auch wenn wir der Ausweitung der Projektarbeit in neue Länder offen gegenüberstehen, steht fest, dass unsere Stiftung der Ambition Wiederkehrs in den Jahren nach der Gründung treu bleiben und weiterhin einen Schwerpunkt auf das Engagement in der Region um Tschernobyl legen wird. Soweit es die Umstände des Krieges zulassen, und insbesondere nach dem Krieg, wird dort der Ausbau des SOCMED-Programms eine prioritäre Aufgabe unseres Hilfswerks sein.

Im Interview mit Green Cross-Mitarbeiter Jakob Vetsch gibt Roland Wiederkehr Einblicke in die Entstehung von Green Cross Switzerland.

Lieber Roland, wir freuen uns, Dich als Gründungspersönlichkeit von Green Cross Switzerland in unseren Räumen willkommen zu heissen. Gerne möchten wir zusammen auf die Entstehungsgeschichte unserer Stiftung zurückblicken. Zum Einstieg: Welche Eigenschaften muss eine Gründerpersönlichkeit generell mitbringen? Welche Umstände müssen erfüllt sein, damit es zur Gründung einer Organisation kommt?

Vielen Dank für die Einladung, welche ich gerne angenommen habe. Ich habe auch gedacht, dass es Wissenslücken im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte gibt, Dinge, die bei Green Cross Switzerland weniger bekannt sind. Ich war 20 Jahre der Geschäftsführer des WWF und verliess die Umweltorganisation, nachdem mir der administrative Aufwand zu gross geworden war. Ich bin Pionier; ich wollte etwas aufbauen und habe mich deshalb für das Grüne Kreuz* entschieden. Weshalb? Beim WWF waren die neuen Gefährdungen der Menschheit, wie z.B. die Klima-, Chemie- oder Industriekatastrophen ein geringes Thema. Es durfte auch kein Thema beim WWF sein, weil es uns überfordert hätte. Ich dachte mir: Es braucht ein zusätzliches Gefäss, welches der Idee vom Roten Kreuz nachgeht, umgemünzt auf die ökologischen Katastrophen. Das Rote Kreuz teilte mir Anfang der 90er Jahre mit, dass sie keine Kapazitäten für diese Themen hätten. Obwohl das heute anders aussieht, habe ich mich damals entschieden, das Grüne Kreuz zu gründen.

Das Grüne Kreuz als Ergänzung, als Umweltentsprechung zum Roten Kreuz.

Exakt. Aufgrund der verlässlichen Strukturen wollte ich diese Gründung in der Schweiz vollziehen. Wir gingen davon aus, dass die Schweiz weniger Korruption kennt und es für uns leichter ist, eine Organisation zu gründen. Zudem können Spenden an Stiftungen von den Steuern abgesetzt werden. Diese Tatsache war ein weiterer Vorteil.

Die Schweiz wurde bisher von grösseren Katastrophen, wie z.B. Chemieunfällen, verschont und im Land herrschen keine kriegerischen Auseinandersetzungen. Kann diese Ruhe die Projektentwicklung begünstigen?

In der Schweiz kann davon ausgegangen werden, dass die Ideen durchdacht sind und Rechtssicherheit gegeben ist. Aus diesem Grund setzte ich mich für einen Hauptsitz von Green Cross in Genf ein und habe Kontakt mit Flavio Cotti, damaligem CVP-Bundesrat, aufgenommen. Er wurde an die erste UNO-Konferenz für Umweltfragen eingeladen und ich habe ihn gebeten, die Idee des Grünen Kreuzes dort zur Debatte zu stellen. Gleichzeitig haben wir als Petition 150’000 Unterschriften gesammelt, um die Idee zu bestärken. Was stand hinter dieser Idee?

Du hast zuvor die Chemieunfälle erwähnt bzw. -waffen angedeutet. Nach Beendigung des Kalten Kriegs wurde von der sauberen Vernichtung sämtlicher Chemiewaffen gesprochen, ohne dass sie wieder verwendet werden können für neue Zwecke. Als ich selbst in Russland war, konnte ich beobachten wie lasch die Sicherheitsvorschriften für die Lagerung von Chemiewaffen war: Zu tausenden wurden sie in Wellblechhütten gelagert und nur mit einem einfachen Schloss gesichert. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren diese Lager unbewacht und auch die Standorte waren nicht bekannt. Erst durch langwierige Arbeiten erfuhren wir weitere Details. Mit dieser Grundlage konnten wir Dokumente erstellen, welche die dringende Bedeutung der Zerstörung der Chemiewaffen hat. Ich habe mich für den Einsatz der Schweiz in diesem Prozess stark gemacht. Mit Erfolg: Die Schweiz steuerte 16 Mio. Franken für die Umsetzung der Chemiewaffenkonvention bei. Heute werden die Chemiewaffen, wie wir leider Zeuge wurden, wieder eingesetzt, wie z.B. im Syrienkrieg.

Du hast Dich früh für Umweltthemen stark gemacht. Als Parlamentsmitglied kanntest Du den bereits erwähnten Bundesrat Flavio Cotti. Hat er in Bezug auf Dein Anliegen eine zündende Funktion international übernommen? Konnte er international eine Türe öffnen?

Ja das ist richtig. Es war aber auch zentral, dass man durch das Sammeln der 150’000 Unterschriften von unten, also «bottom up», Druck aufbauen und es dem Bundesrat vorlegen konnte. Ich habe auch eine parlamentarische Gruppe Green Cross gegründet, bei welcher viele Parlamentarier:innen dabei waren, die wiederum auch die Petition zur Gründung von Green Cross unterschrieben haben. Damit im Schweizer Parlament weiter für Umweltthemen sensibilisiert werden konnte, habe ich die maledivische Regierung nach Bern eingeladen. Denn die Malediven kämpfen bis heute mit dem ansteigenden Meeresspiegel. Aus Dankbarkeit für diese Einladung haben sie dem Grünen Kreuz einen Wimpel geschenkt. Medial wurde dieses Thema zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgegriffen.

Dann musste zuerst entsprechendes Bewusstsein für die Schweizer Öffentlichkeit geschaffen werden?

Das ist mit vielen Angelegenheiten so, oder? Ähnliches sehen wir heute mit der Klimakrise. Da gibt es sogar wieder Gegenpositionen.

Die Förderung des Bewusstseins für Umweltprobleme war auch damals ein grosses Thema. Ich habe Gorbatschow angefragt, ob er eine Rede vor dem Schweizer Parlament halten möchte, was er auch getan hat. Er hielt eine spannende, gute Rede über Frieden, Abrüstung und wie Gelder eingesetzt werden können. Das war das Credo von uns beiden: Wir waren der Überzeugung, dass Geld gebraucht wird, um den Planeten zu erhalten. Um weitere Sympathisant:innen für unsere Idee zu finden, reisten wir zusammen in die USA. In Kalifornien trafen wir viele Schauspieler:innen, die wir für unsere Mission gewinnen konnten. Ein Multi-Millionär war zudem bereit, das Grüne Kreuz USA zu unterstützen. Bis heute ist das Grüne Kreuz in Kalifornien stark.

Du hast zuvor Michail Gorbatschow erwähnt. Er wird immer wieder als Gründungspräsident von Green Cross neben Dir als Direktor erwähnt. Wie kam dieser Kontakt zustande?

Ich habe ein Telefon aus dem Umkreis von Gorbatschow erhalten und sie meinten, sie würden uns gerne treffen. Sie hatten eine ähnliche Idee wie ich; also die Etablierung einer Umweltorganisation à la Grünes Kreuz. Wir haben uns in New York getroffen und beschlossen, gemeinsame Sache zu machen. Ich habe Gorbatschow als ehrliche und gutmütige Person kennengelernt.

Nach dem Tod von Gorbatschow am 30. August 2022 hast Du dem Schweizer Fernsehen ein Interview gegeben und das SRF hat das Interview mit einem Zitat von Gorbatschow getitelt: «Gorbatschow wollte, dass alle genug haben aber nicht zu viel.»[1]

Ja, ich war erstaunt, weil Gorbatschow eigentlich in Moskau nur in einer 3-Zimmer Wohnung gelebt hat.

Damals entstanden in kurzer Zeit verschiedene neue Ableger, Du erwähntest z.B. die USA oder die Schweiz. Wie sah die Zusammenarbeit mit den anderen nationalen Ablegern aus?

Ich konnte leider aufgrund des damit verbundenen Aufwandes nicht allzu lange bleiben. Gorbatschow machte mich zum Direktor von Green Cross International und es war eine grosse Belastung, weil ich die Hälfte der Woche in Den Haag, dem Sitz einer der besten Green Cross-Ableger, und die restliche Zeit in Genf gewesen bin. Ich muss meiner Frau Marianne danken, die sich zu dieser Zeit vor allem um die Kinder gekümmert hat. Als die Zuständigkeiten neu aufgeteilt werden konnten, war ich froh, denn ich war auch tätig für andere nationale Ableger von Green Cross. Dieser grosse Aufwand wurde mir zu viel.

Gorbatschow und Du waren natürlich auch wichtig für die Gründung von Green Cross Schweiz. Wie siehst Du die Entwicklung von Green Cross Schweiz? Erkennst Du neue Projektmöglichkeiten in Bezug auf Umweltlage und Klimafaktoren?

 Die Situation sieht heute sicherlich anders aus. Viele Organisationen haben die Themen aufgegriffen, auf die wir in den 90er Jahren aufmerksam gemacht haben. Ich möchte jedoch auch noch betonen, dass neben den Russen auch die Amerikaner Dinge getan haben, die Mensch und Umwelt geschadet haben, wie der Einsatz von Agent Orange in Vietnam. Aus diesem Grund wollte ich auch, dass sich Green Cross auch in Vietnam engagiert und habe mit freiwilligen Orthopädist:innen und Ärzt:innen, namentlich u.a. Dr. Daniel Hueskes und Dr. Claude Müller Projekte begonnen umzusetzen, welche die durch das Herbizid beeinträchtigten Kinder und Jugendliche behandeln sollten. Ich bin glücklich, dass ihr diese Arbeit auch heute noch fortsetzt.

Zu Deiner Frage, was in Zukunft getan werden könnte. Ich glaube heute müssen Teams mit anderen Organisationen gebildet werden. Denn zusammen kann wesentlich mehr erreicht werden, es entsteht so auch einen grösseren Druck.

Ich habe immer versucht mit anderen zusammenzuarbeiten, auch beim WWF. Natürlich ist das Erreichen der Ziele eine komplexe Arbeit. Vor Herausforderungen wird man immer gestellt und Enttäuschungen müssen verkraftet werden.

Gut, dass Du das erwähnst. Welche besonderen Herausforderungen waren bei der Gründung von Green Cross vorhanden? Traten Rückschläge oder Enttäuschungen auf?

Nein, die Gründungsphase von Green Cross lief sehr gut, weil es mit dem Namen «Gorbatschow» verbunden war. Erst später kamen Kleinigkeiten dazu, wie z.B. die Tatsache, dass rechtsbürgerliche Kreise im Parlament die Rede von Gorbatschow verhindern wollten. Generell musste ich auch aufgrund des Stresses loslassen. Denn Stress macht – wie wir wissen – auch krank.

Ja, so erleben wir Dich auch bei Green Cross Schweiz. Du warst an unserem Charity Event präsent, bist unser Interviewpartner und dennoch habe ich es nicht erlebt, dass Du Dich hier einmischst.

Ja, wie Du weisst, setzte ich mich ja auch noch für andere Organisationen oder Fragestellungen ein, z.B. Roadcross oder die zunehmende Prämienproblematik. Gleichzeitig war ich froh, die Arbeit an andere zu übergeben, auch bei Green Cross.

Hättest Du noch abschliessend einen Wunsch an Green Cross Schweiz?

Ich denke die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und der Einsatz für die sehr grossen Probleme, wie z.B. die Klimakrise, ist wichtig. Ich könnte mir z.B. vorstellen, dass man wieder die Regierungen von der globalen Erwärmung stark betroffenen Staaten einlädt, wie wir das mit der maledivischen Regierung getan haben. Ich bin überzeugt, dass die Medien diese Themen heute völlig anders aufgreifen würden.

Vielen Dank für Deine Anregung und Deine Teilnahme. Wir freuen uns sehr, dass wir Dich in einem Gespräch kennenlernen durften und wir das gute Einvernehmen weiterführen können.

* Heute wird die internationalisierte Version des Namens, «Green Cross Switzerland» verwendet.

[1]  srf.ch/news/schweiz/schweizer-weggefaehrte-gorbatschow-wollte-dass-alle-genug-haben-aber-nicht-zu-viel

17.05.2024

Langjährige & erfolgreiche Zusammenarbeit

Langjährige & erfolgreiche Zusammenarbeit

Seit 20 Jahren arbeiten Green Cross Switzerland und das Krankenhaus für Orthopädie und Rehabilitation in Da Nang im Rahmen des Socmed-Programms zusammen. Diese Kooperation führte dazu, dass Tausende von Agent-Orange-Betroffenen, grösstenteils Kinder, dringend benötigte medizinische Unterstützung in Form von operativen Behandlungen, Prothesen und Orthesen sowie Rehabilitation erhielten.

Im Rahmen eines Arbeitsbesuches des Basler Orthopädie-Spezialisten Dr. Daniel Hueskes fand jüngst eine Ehrung für dieses humanitäre Engagement statt. Dr. Thanh, Direktor des Krankenhauses, überreichte Herrn Dr. Hueskes sowie Frau Pham Thuy, der Projektkoordinatorin des Socmed-Programms von Green Cross in Vietnam, eine Urkunde als Dank für die langjährige Kooperation.   

Während des Besuches von Dr. Hueskes wurden in Zusammenarbeit mit den lokalen Orthopädietechniker:innen acht Patient:innen untersucht. Zusätzlich führten Dr. Hueskes und lokalen Fachkräfte Untersuchungen im Vietcot, der Ausbildungsstätte für Orthopädietechniker:innen in Hanoi, durch. Dabei wurden zwölf Patient:innen untersucht und weitere Behandlungen definiert.

Diese wertvolle Arbeit unterstreicht die Bedeutung der internationalen Kooperation, um das Leben und die Lebensqualität von Opfern von hochgefährlichen Herbiziden wie Agent Orange dauerhaft und positiv zu verändern.

26.04.2024

30 Jahre Green Cross Switzerland & 38. Tschernobyl-Gedenktag

Heute, am 26. April, jährt sich die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl zum 38. Mal. Acht Jahre nach der Katastrophe wurde Green Cross Switzerland (GCCH) gegründet, als Schweizer Ableger des im Vorjahr u.a. von Michail Gorbatschow und Roland Wiederkehr ins Leben gerufenen Green Cross International. Die beiden Ereignisse sind eng miteinander verknüpft. Green Cross wurde – als Ergänzung zum internationalen Roten Kreuz – unter anderem gegründet, um Unterstützung für die Betroffenen von menschengemachten Katastrophen wie Tschernobyl zu leisten.

Tschernobyl, mit seinen verheerenden und bis heute andauernden Konsequenzen für Mensch und Umwelt, steht exemplarisch für die menschengemachten Umweltkatastrophen, zu deren Bewältigung GCCH seit 30 Jahren seinen Beitrag leistet. Seit der Gründung sind wir stark auf die Bewältigung der Tschernobyl-Katastrophe in den am stärksten betroffenen Gebieten in der Ukraine, Russland und Belarus fokussiert. Als eine von nur wenigen NGOs führen wir unser Engagement in diesem Bereich bis heute fort, soweit es die durch den Ukrainekrieg bedingten Umstände zulassen.

Das Ziel dieser Unterstützung ist, wie bei allen Aktivitäten von GCCH, bis heute die rasche und langfristig wirksame Hilfe zur Selbsthilfe geblieben. Das länderübergreifende SOCMED-Programm (Social and Medical Care and Education) gehört deshalb zu den Schwerpunkten unserer Stiftung. Es soll den Menschen Mittel in die Hand geben, um ihre Lebenssituation selbstständig und nachhaltig zu verbessern. So entstanden ab 1995 Therapiecamps in kontaminierten Regionen, zunächst in Belarus, dann auch in Russland und in der Ukraine. Ab Mitte der 2000er-Jahre folgte der Aufbau von sogenannten Familienclubs zur Förderung einer nachhaltigen und selbstbestimmten Verbesserung der Lebenssituation von Frauen und Mädchen.

Zudem engagierte sich GCCH für Chemiewaffenregulierung und -vernichtung. Seit 1998 unterstützen wir in Vietnam die Opfer des Entlaubungsmittels «Agent Orange». Dessen Einsatz im Vietnamkrieg hat bis heute verheerende Konsequenzen. Unsere Projektarbeit in Vietnam konzentriert sich ebenfalls auf den SOCMED-Bereich. Auch beteiligte sich GCCH an Sofortmassnahmen zur Bewältigung der Nuklearkatastrophe von Fukushima (2011) und war an zahlreichen Projekten in verschiedenen weiteren Ländern beteiligt (z.B. Unterstützung für Opfer eines Giftgasangriffs im Irak 2008, Sanierung eines stark durch Uranabbau kontaminierten Gebiets in Tadschikistan 2015).

Ende der 2010er-Jahre folgte eine Fokussierung auf die Projektarbeit in der Region um Tschernobyl sowie Vietnam. Nach Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 unterstützte GCCH die Menschen in seinen Projektländern mit Informations-, Schulungs- und Beratungsangeboten und beteiligte sich an der Entwicklung des Condair Cubes zur Überwachung der Luftqualität in Innenräumen.

Die Gegenwart wird vom Ukrainekrieg geprägt, d.h. von der dadurch bedingten Einschränkung der Projektarbeit in Belarus und der vorläufigen Beendigung der Tätigkeit in Russland. GCCH leistet nun, über die lokale Organisation Green Crystal, humanitäre Hilfe für die Kriegsbetroffenen in der Ukraine. Diese Hilfe umfasst nicht nur Lebensmittel, Bekleidung, Medizin oder Anlagen zur Reinigung von kontaminiertem Trinkwasser, sondern seit diesem Jahr auch ein psychologisches Betreuungsangebot für vom Krieg traumatisierte Kinder, Jugendliche und Erwachsene.

In den letzten Jahren konnte GCCH dank erfolgreichem Fundraising Reserven aufbauen und erhöht die Projektausgaben nun schrittweise – für eine unbelastete Zukunft.

Für Rückfragen:
Martin Bäumle
+41 (0)79 358 14 85

22.03.2024

“Krieg ohne Ende” – Interview mit Peter Jaeggi

“Krieg ohne Ende” – Interview mit Peter Jaeggi

Der freischaffende Journalist, Fotograf und Filmemacher Peter Jaeggi widmet sich seit langem der Erforschung der Auswirkungen von Katastrophen. In seinem neuesten Buch mit dem Namen ‘Krieg ohne Ende’ befasst er sich mit den Spätfolgen des Einsatzes des hochgiftigen Herbizids ‘Agent Orange’ während des Vietnamkrieges. Peter Jaeggis Arbeit trägt dazu bei, das Bewusstsein für die langfristigen Folgen zu schärfen. Ein Beitrag, dass die betroffenen Menschen nicht vergessen werden.

Im Interview mit Green Cross Switzerland gibt Peter Jaeggi Einblicke in sein neuestes Buch, das sich durch eine intensive Vor-Ort-Recherche auszeichnet.

Wie sind Sie zum Thema dieses Buch gekommen und weshalb war es für Sie persönlich ein Anliegen?
Alles begann mit Roland Wiederkehr. Ich kannte den damaligen Nationalrat und Gründer des Green Cross bereits vor dessen Anfangszeiten, als er der erste Geschäftsführer des WWF Schweiz war. Ende der Neunzigerjahre lud mich Roland Wiederkehr im Namen des Grünen Kreuzes nach Belarus ein, um die Spätfolgen der Tschernobyl-Katastrophe zu dokumentieren. Belarus wurde am stärksten vom Super-GAU getroffen. Green Cross führte mich schliesslich auch nach Vietnam, um zu den Spätfolgen des Vietnamkrieges zu recherchieren. Im Jahr 2000 erschien mein erstes Buch dazu, mit dem Titel «Als mein Kind geboren wurde, war ich sehr traurig». Dieses zweite journalistische Langzeitprojekt begleitet mich bis heute. Das neue Buch «Krieg ohne Ende» ist bereits das dritte zum Thema des Chemiewaffeneinsatzes von damals.

Für die Entstehung Ihres Buches haben Sie eine Vor-Ort-Recherche durchgeführt, die zahlreiche Gespräche mit den Betroffenen von Agent Orange beinhaltete. Gibt es eine Begegnung, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Sehr viele. Auf unserer ersten Recherchereise begegneten wir der jungen Mutter Phan Thi Cuc und ihren drei Kindern. Die beiden älteren wurden mit einem Körper geboren, dessen Anblick kaum erträglich war. Ich hatte vorher noch nie derartige Missbildungen bei einem Menschen gesehen. Der Vater kam im Krieg mit dem dioxinhaltigen Agent Orange in Kontakt. Dioxin schädigt das Erbgut. Er ertrug den Anblick seiner behinderten Kinder nicht und nahm sich das Leben – mit einem Pestizid. Die meisten Begegnungen mit Opfern und ihren Familien gehen unter die Haut. Viele Betroffene brauchen eine 24-Stunden-Betreuung. Die Eltern sind meist arm und müssen häufig ohne fremde Hilfe zu Rande kommen. Dies oft während Jahrzehnten, da die Kinder immer älter werden und es an geeigneten Heimen fehlt. 

Sie schreiben: «Ein Lexikon zeigt: Im Vietnamkrieg war die halbe Welt involviert.» Wie müssen wir uns diese Situation vorstellen?
Nur einige Beispiele: Die Schweiz lieferte Zeitzünder sowie Pilatus-Porter-Flugzeuge, mit denen Bomben abgeworfen wurden und die mit Maschinengewehren bestückt werden konnten. Neben Staatsangehörigen aus den USA waren auch Soldatinnen und Soldaten aus Australien, Neuseeland, Kanada und Südkorea an der Front in Vietnam. Die damalige DDR baute ein Luftverteidigungssystem auf, die Bundesrepublik Deutschland entsandte Tausende von Technikern, unter anderem jene, die auf Waffensysteme spezialisiert waren. Die japanische Insel Okinawa war im Vietnamkrieg die wichtigste Luftwaffenbasis der USA. Dort wurden mehr als tausend Atombomben, aber auch Nervengas und Agent Orange gelagert.

Das zentrale und notwendige Hauptthema ihres Buches sind die Opfer von Agent Orange. War es für Sie besonders wichtig, den Opfern eine Stimme zu geben, die ja ansonsten – unabhängig von Konflikten – schnell vergessen werden?
Katastrophen und Kriege hören mit dem Schweigen der Waffen nicht einfach auf. Am wenigsten für die Opfer. Wie das Beispiel Vietnam zeigt, können Kriege Mensch und Natur über Generationen hinweg schädigen. Die vietnamesische Opfervereinigung VAVA spricht heute bereits von der fünften Generation von Kindern, die Agent-Orange-geschädigt geboren werden. Es kann nicht gesagt werden, wie viele weitere Generationen noch betroffen sein werden. Es ist sehr wichtig, dass das Leiden der Opfer nicht vergessen und darüber informiert wird.

Wie schätzen Sie die derzeitige Situation der Betroffenen in Vietnam ein?
Ich habe Kriegsveteraninnen und -veteranen stets gefragt, was sie heute für die USA empfinden. Fast ausnahmslos kam als erste Antwort: «Was geschehen ist, ist geschehen. Man muss verdrängen, um weiterleben zu können, nach vorn schauen.» Doch ist es auch die Stimme des Herzens? In der traditionellen vietnamesischen Kultur trägt man Schmerz und Trauer nicht auf der Zunge. Spricht man länger mit Kriegsopfern, hört man oft die Enttäuschung darüber, dass sich Washington bis heute nie für diesen Krieg entschuldigt hat. Die USA helfen zwar seit Jahren, stark vergiftete Agent-Orange-Hotspots zu sanieren. Man investiert Hunderte von Millionen. Viele Betroffene beklagten sich aber in meinen Interviews darüber, dass dabei die Opfer zu kurz kommen und nicht genügend unterstützt werden.

Was denken Sie, ist heutzutage notwendig, um den Opfern der Katastrophe gerecht zu werden?
Es braucht mehr Geld, um betroffenen Familien ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Zum Beispiel Pflegepersonal, das überforderten Eltern hilft. Da ist zwingend auch mehr Engagement der USA gefragt – aber auch von Vietnam selbst. Es fehlen zudem zuverlässige Opferstatistiken. Diese wären wichtig für die Planung von Hilfestellungen. Wie kann man effizient helfen, wenn man gar nicht weiss, wie viele Opfer es tatsächlich gibt? – Der Chefarzt eines grossen Spitals beklagte sich im Interview über Ausbildungslücken bei Ärztinnen und Ärzten. So sei das Erkennen und rechtzeitige Behandeln von Geburtsfehlern sehr schwierig. Für die spätere Gesundheit betroffener Menschen sei eine professionelle Früherkennung jedoch zentral.

Sie sprechen in Ihrem Buch auch über betroffene Veteran:innen: Wie entwickelte sich die Situation für Militärangehörige (der USA)?
Man vergisst häufig, dass auch Hunderttausende von amerikanischen Vietnamkriegsveteranen und -veteraninnen Agent-Orange-geschädigt sind. In den USA muss ein Veteran keine Beweise erbringen, dass Agent Orange an seinem Leiden schuld ist. Es genügt der Nachweis, dass er oder sie im Vietnamkrieg war, und die medizinische Behandlung wird bezahlt. Von vietnamesischen Agent-Orange-Opfern hingegen fordern die USA einen Beweis – der nach strikten wissenschaftlichen Kriterien nicht zu erbringen ist. So kann zum Beispiel nicht ermittelt werden, welchen Anteil einer Vergiftung durch Agent Orange und wieviel von anderen Quellen verursacht worden ist. Das ist ein Hauptgrund, weshalb Washington und die US-Gerichte bis heute alle Forderungen nach Kompensation abgelehnt haben. Für das offizielle Amerika gibt es also zwei Klassen von Agent-Orange-Opfern: die eigenen, denen teilweise Agent-Orange-Krankheiten zugestanden werden, und die vietnamesischen, die Washington nicht als Giftopfer anerkennt. Der amerikanische Vietnamkriegsveteran Chuck Searcy sieht darin eine «kriminelle Doppelmoral». Searcy gehört zu jenen ehemaligen Soldaten, die in Vietnam geblieben sind und dort grossartige humanitäre Arbeit leisten. Er war u.a. Mitbegründer des «Project Renew», einer NGO, die Blindgänger aufspürt und entsorgt und so schon unzähligen Menschenleben rettete.

Auch gehen Sie auf die notwendige juristische Aufarbeitung ein, die jedoch oft einem Kampf «David gegen Goliath» gleicht. Fast alle Wiedergutmachungsklagen gegen die Herstellerfirmen von Agent Orange werden mit der Begründung abgewiesen, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Agent Orange und Missbildungen nicht bewiesen werden kann. Besteht dennoch Hoffnung, die Klagen auch in Zukunft weiterzuführen?
Eine grosse Hoffnung steckt momentan in dem laufenden Gerichtsverfahren, das die Vietnam-Französin Tran To Nga in die Wege geleitet hatte. Die ehemalige «Vietcong» – so nannte man despektierlich Angehörige der südvietnamesischen Befreiungsfront  – verklagte 2014 die grössten Hersteller von Agent Orange auf Schadenersatz. In der ersten Instanz verlor Tran To Nga das Verfahren. Dieses wurde jahrelang mit teilweise abenteuerlichen Forderungen verschleppt. Das erstinstanzliche Gericht in Évry begründete 2021 das Urteil damit, dass Firmen, die im Auftrag des Staates gehandelt hätten, Immunität geniessen würden, sie also nicht angeklagt werden könnten. Die Anwälte der heute 82-jährigen zogen das Urteil weiter. Im kommenden Mai wird nun das höchste französische Berufungsgericht in Paris das wohl endgültige Urteil verkünden. – Warum findet der Prozess in Frankreich statt? Weil die französische Gesetzgebung eine Besonderheit kennt: In Frankreich können nämlich im Gegensatz zu anderen Ländern auch Einzelpersonen einen fremden Staat verklagen, wenn dieser einer Bürgerin, einem Bürger Schaden zufügt.

 Um die Gefahr von Agent-Orange zu mildern, ist eine Dekontamination der Böden bei Dioxin-Hotspots wichtig. Die USA engagiert sich hierbei mit Millionenbeträgen. Allerdings wird die angewandte Methode zur Sanierung von einigen Expert:innen als nicht optimal eingestuft. Können Sie dies näher erläutern?
2018 wurde auf dem ehemaligen US-Luftwaffenstützpunkt und Agent-Orange-Umschlagplatz Da Nang eine rund 110 Millionen teure Sanierung beendet. Laut offiziellen Angaben wurde die dioxinverseuchte Erde auf 360 Grad erhitzt und so das Gift in unschädliche Bestandteile umgebaut. Dabei entwich ein Teil der dioxinhaltigen Abgase in die Luft und vergiftete die Umgebung erneut. Niemand weiss, welche Giftmengen entwichen. – Derzeit läuft etwa 500 Kilometer weiter südlich, in Bien Hoa, die bisher grösste Hotspot-Entgiftungsaktion. Mit dem gleichen Verfahren. Lorenz Adrian vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig, der seit Jahrzehnten an vorderster Front der Dioxinforschung tätig ist, kritisiert das Verfahren scharf, das in Da Nang und jetzt wieder in Bien Hoa angewendet wird. Eine vollständige Vernichtung des Dioxins sei mit dem Hitzeverfahren nämlich gar nicht möglich. Er schlug der vietnamesischen Regierung eine auf den ersten Blick verblüffende und seiner Meinung nach sichere Lösung vor: Mit Hilfe von speziellen Bakterien können selbst hochgefährliche Giftstoffe im Boden biologisch garantiert unschädlich gemacht werden. Diese Methode könne selbst in überbauten Gebieten helfen. Es brauche eigentlich nur eine Bohrung, dann Bakterien rein – und abwarten. Es dauere zwar viele Jahre, bis das Dioxin abgebaut sei, dafür aber sei das Prozedere sicher und um ein Vielfaches billiger als die Hitzemethode.

 Was haben Sie persönlich aus Ihrer langjährigen Auseinandersetzung mit diesem Thema gelernt, vor allem auch im Hinblick auf andere globale Krisenherde?
Ich antworte mit einer Gegenfrage. Angesichts von Kriegskatastrophen wie in Vietnam, nach Kriegen der Neu- und Jetztzeit scheint der Ruf «Nie wieder Krieg!» das Selbstverständlichste, das Logischste und das absolut Zwingendste und Humanste der Welt zu sein. Aber weshalb funktioniert es nicht? Weshalb immer wieder Krieg? Könnte ein Teil der Antwort auch in mangelnder Bildung liegen? Ich komme deshalb darauf, weil kürzlich darüber berichtet wurde, wie einige Schweizer Schüler Hitler als kultigen Star begreifen. Unglaublich!

 

Die Agent-Orange Fotos zu den Arbeiten von Peter Jaeggi realisiert seit 1999 der preisgekrönte Basler Fotograf Roland Schmid https://www.schmidroland.ch/

Sie können das Buch ‘Krieg ohne Ende’ über den folgenden Link bestellen. Mit dem Vermerk ‘Green Cross’ werden bei jedem Kauf eines Exemplars 5 Franken für Hilfsprojekte in Vietnam gespendet.

15.03.2024

“Samen der Hoffnung” für die Ukraine

“Samen der Hoffnung” für die Ukraine

Für die Zivilbevölkerung der Ukraine ist der Krieg weiterhin allgegenwärtig. Ständig werden kritische Infrastruktur oder Privateigentum beschädigt und vernichtet. Der Wiederaufbau benötigt Zeit, ist aber auch bereits im Gange. Etwas (wieder) entstehen bzw. auf nachhaltige Weise wachsen zu lassen, gehört zum Selbstverständnis von Green Cross Switzerland. Deshalb haben wir das Projekt «Samen der Hoffnung» lanciert, um Menschen in Konfliktzonen der Ukraine zu helfen, ihre durch das russische Militär verwüsteten Gärten und Felder wiederherzustellen.

Im Rahmen dieses Projekts stellen wir den Menschen Samen und Werkzeuge zur Verfügung und bieten Schulungen zu landwirtschaftlichen Themen an. Die Schulungen vermitteln, wie man Wasser, Erde und andere Ressourcen effizient nutzt, um Gärten und Felder nachhaltig zu bewirtschaften. Mit dieser Unterstützung können die Menschen wieder eigene Grundnahrungsmittel anbauen und ihre Familien versorgen. Bisher wurden landwirtschaftliche Schulungen in der südukrainischen Stadt Cherson organisiert, welche sich an der Front befindet. In der Region um die nördliche Stadt Tschernihiw konnten in 16 Dörfern Samen verteilt werden.

Im Februar und März 2024 konnten wir 2000 Samensätze mit 22 unterschiedlichen Sorten wie z.B. Gurken, Tomaten, Rucola oder Karotten verteilen. Mit diesen Samen können die kriegsbetroffenen Menschen eigenes Gemüse anbauen und pflegen. Die dadurch ermöglichte Selbstversorgung leistet einen wichtigen Beitrag zur Linderung der Nahrungsmittelknappheit und zur Verbesserung der Lebensqualität. Gleichzeitig sehen wir es auch als Chance, eine nachhaltige Entwicklung der ukrainischen Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern.

Die Ukrainer:innen sind Ihnen, liebe Spenderinnen und Spender, für diese Unterstützung sehr verbunden. Auch als Green Cross Switzerland bedanken wir uns herzlich dafür. Aus Ihrem Beitrag erwächst den Menschen in der Ukraine Hoffnung auf eine Zukunft.

08.03.2024

Internationaler Frauentag – Green Cross engagiert sich aktiv!

Internationaler Frauentag – Green Cross engagiert sich aktiv!

Heute, am 8. März, jährt sich wieder der internationale Frauentag. Ins Leben gerufen wurde der internationale Frauentag 1908 in den USA. Die Frauenorganisation der Sozialistischen Partei Amerikas (Socialist Party of America, SPA) schuf diesen Tag, um Demonstrationen für das Frauenwahlrecht zu veranstalten. Der erste Frauentag wurde 1911 durchgeführt, in den folgenden Jahren verbreitete sich die Idee des Frauentages auch in Europa.

Unter dem Motto «Für Brot und Frieden» infolge des Ersten Weltkrieges haben russische Frauen 1917 die Bekanntheit des internationalen Frauentags weiter gefördert. Der Streik unter dieser Parole galt als Auftakt der russischen «Februarrevolution», wobei die Demonstration nach gregorianischem Kalender am 8. März 1917 stattfand.

Im Rahmen des «Internationalen Frauenjahrs» von 1975 wurde der 8. März von der UNO zum «International Women’s Day» erklärt. Trotz der Institutionalisierung und Internationalisierung des Frauentages muss man die gesellschafts-, wirtschafts-, sozial- oder kulturpolitische Situation für Frauen in verschiedenen Staaten weiterhin als ungenügend oder schlecht bezeichnen.  So sind Mädchen und Frauen häufiger von Hunger, Armut oder mangelnder Gesundheitsversorgung betroffen. Zudem verdienen Frauen grundsätzlich weniger für gleiche Arbeit und haben schlechtere Bildungschancen.

Green Cross Switzerland möchte diesen Tag als Anlass nehmen, den Frauen weltweit und den bei unserer Stiftung angestellten Mitarbeiterinnen für ihren Einsatz für die Gesellschaft zu danken. Gleichzeitig möchten wir darauf aufmerksam machen, dass weiterhin viel Engagement nötig ist, sowohl für die Emanzipation von Frauen und Mädchen als auch für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen.

Es ist uns ein Anliegen, aktiv zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen beizutragen. Dies wurde bereits in der bisherigen Projektarbeit unter Beweis gestellt. Die Familien-Clubs in der Region rund um Tschernobyl legen einen Schwerpunkt auf die Förderung von Mädchen und Frauen. In diesen Clubs werden Frauen und Mädchen in Ernährungs-, Erziehungs- oder Gesundheitsfragen geschult. Zudem wird ihre Erwerbstätigkeit gefördert und sie werden dazu motiviert und befähigt, unternehmerisch tätig zu sein. Wichtig ist auch, dass die Clubs als Plattform für ein gegenseitiges Kennenlernen dienen.

Die Aktivitäten der Familien-Clubs mussten in der Ukraine leider aufgrund des Krieges pausiert werden. In Belarus werden sie jedoch weiterhin durchgeführt. An dieser Stelle möchten wir allen Helferinnen und Unterstützerinnen herzlich für ihren Einsatz danken.

In Vietnam leisten Gesundheitsexpertinnen, Projektleiterinnen und freiwillige Helferinnen einen wichtigen Beitrag zur Betreuung und Pflege von Agent Orange-Opfern sowie zur Weiterentwicklung der Angebote. Ohne ihren Einsatz wären die guten Ergebnisse unsere Projektarbeit in Vietnam nicht möglich gewesen. Herzlichen Dank!

Weiterführende Informationen zum internationalen Weltfrauentag finden Sie hier und hier.