Anlässlich des 30jährigen Bestehens von Green Cross Switzerland wurde Roland Wiederkehr am 22. Juni 2024 für seine Lebensleistung geehrt und ins Patronat unserer Stiftung aufgenommen. Béatrice G. Lombard-Martin, unsere Stiftungsratspräsidentin, und unser Geschäftsführer Martin Bäumle überreichten Wiederkehr dafür feierlich eine Urkunde. Gemeinsam mit Michail Gorbatschow gründete Roland Wiederkehr im Jahr 1993 Green Cross International, im folgenden Jahr Green Cross Switzerland. Bis heute setzt sich unser Hilfswerk für die Betroffenen von menschengemachten Katastrophen ein. Was wir in den letzten 30 Jahren erreicht haben, wäre ohne die Pionierarbeit von Roland Wiederkehr nicht möglich gewesen.
Die Idee hinter Green Cross war, eine Organisation nach dem Vorbild des Internationalen Roten Kreuzes zu schaffen, die sich jedoch auf Umweltschutz, nukleare Abrüstung, Sicherheitspolitik und die Bewältigung von menschgemachten Katastrophen, insbesondere Industrie- und Militärkatastrophen, fokussiert. Ein wichtiges Ziel ist bis heute die rasche und langfristig wirksame Hilfe zur Selbsthilfe geblieben. Das länderübergreifende SOCMED-Programm (Social and Medical Care and Education) ist deshalb rasch zu einem Schwerpunkt unserer Stiftung geworden.
Seit der Gründung sind wir stark auf die Bewältigung der Tschernobyl-Katastrophe in den am stärksten betroffenen Gebieten in der Ukraine, Russland und Belarus fokussiert. Als eine von nur wenigen NGOs führen wir unser Engagement in diesem Bereich bis heute fort, soweit es die durch den Ukrainekrieg bedingten Umstände zulassen.
Zudem engagierten sich Roland Wiederkehr und Green Cross Switzerland erfolgreich im Bereich der Chemiewaffenregulierung und -vernichtung. So setzte sich Wiederkehr beispielsweise erfolgreich für die Beteiligung der Schweiz an der Umsetzung der Chemiewaffenkonvention ein. Seit 1998 sind wir auch in Vietnam tätig, wo der Einsatz des Entlaubungsmittels „Agent Orange“ im Krieg (1965-70) immer noch sehr gravierende Konsequenzen für Mensch und Umwelt hat. Wiederkehr erkannte, dass in diesem Bereich dringend Hilfe geleistet werden muss, weil sich die Verantwortlichen nach wie vor ihrer Verantwortung entziehen.
Nach der Ausweitung der Projektarbeit in zahlreiche weitere Länder folgte Mitte der 2010er-Jahre eine Fokussierung auf die Projektarbeit in der Region um Tschernobyl sowie Vietnam. Die Gegenwart wird vom Ukrainekrieg geprägt, d.h. von der dadurch bedingten Einschränkung der Projektarbeit in Belarus, der Umstellung auf Nothilfe für Kriegsbetroffene in der Ukraine und der vorläufigen Beendigung der Tätigkeit in Russland.
Roland Wiederkehr kann der Zukunft von Green Cross Switzerland zufrieden und optimistisch entgegenblicken. In den letzten Jahren konnte unsere Stiftung dank erfolgreichem Fundraising beträchtliche Reserven aufbauen und erhöht die Projektausgaben nun schrittweise. Auch wenn wir der Ausweitung der Projektarbeit in neue Länder offen gegenüberstehen, steht fest, dass unsere Stiftung der Ambition Wiederkehrs in den Jahren nach der Gründung treu bleiben und weiterhin einen Schwerpunkt auf das Engagement in der Region um Tschernobyl legen wird. Soweit es die Umstände des Krieges zulassen, und insbesondere nach dem Krieg, wird dort der Ausbau des SOCMED-Programms eine prioritäre Aufgabe unseres Hilfswerks sein.
Im Interview mit Green Cross-Mitarbeiter Jakob Vetsch gibt Roland Wiederkehr Einblicke in die Entstehung von Green Cross Switzerland.
Lieber Roland, wir freuen uns, Dich als Gründungspersönlichkeit von Green Cross Switzerland in unseren Räumen willkommen zu heissen. Gerne möchten wir zusammen auf die Entstehungsgeschichte unserer Stiftung zurückblicken. Zum Einstieg: Welche Eigenschaften muss eine Gründerpersönlichkeit generell mitbringen? Welche Umstände müssen erfüllt sein, damit es zur Gründung einer Organisation kommt?
Vielen Dank für die Einladung, welche ich gerne angenommen habe. Ich habe auch gedacht, dass es Wissenslücken im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte gibt, Dinge, die bei Green Cross Switzerland weniger bekannt sind. Ich war 20 Jahre der Geschäftsführer des WWF und verliess die Umweltorganisation, nachdem mir der administrative Aufwand zu gross geworden war. Ich bin Pionier; ich wollte etwas aufbauen und habe mich deshalb für das Grüne Kreuz* entschieden. Weshalb? Beim WWF waren die neuen Gefährdungen der Menschheit, wie z.B. die Klima-, Chemie- oder Industriekatastrophen ein geringes Thema. Es durfte auch kein Thema beim WWF sein, weil es uns überfordert hätte. Ich dachte mir: Es braucht ein zusätzliches Gefäss, welches der Idee vom Roten Kreuz nachgeht, umgemünzt auf die ökologischen Katastrophen. Das Rote Kreuz teilte mir Anfang der 90er Jahre mit, dass sie keine Kapazitäten für diese Themen hätten. Obwohl das heute anders aussieht, habe ich mich damals entschieden, das Grüne Kreuz zu gründen.
Das Grüne Kreuz als Ergänzung, als Umweltentsprechung zum Roten Kreuz.
Exakt. Aufgrund der verlässlichen Strukturen wollte ich diese Gründung in der Schweiz vollziehen. Wir gingen davon aus, dass die Schweiz weniger Korruption kennt und es für uns leichter ist, eine Organisation zu gründen. Zudem können Spenden an Stiftungen von den Steuern abgesetzt werden. Diese Tatsache war ein weiterer Vorteil.
Die Schweiz wurde bisher von grösseren Katastrophen, wie z.B. Chemieunfällen, verschont und im Land herrschen keine kriegerischen Auseinandersetzungen. Kann diese Ruhe die Projektentwicklung begünstigen?
In der Schweiz kann davon ausgegangen werden, dass die Ideen durchdacht sind und Rechtssicherheit gegeben ist. Aus diesem Grund setzte ich mich für einen Hauptsitz von Green Cross in Genf ein und habe Kontakt mit Flavio Cotti, damaligem CVP-Bundesrat, aufgenommen. Er wurde an die erste UNO-Konferenz für Umweltfragen eingeladen und ich habe ihn gebeten, die Idee des Grünen Kreuzes dort zur Debatte zu stellen. Gleichzeitig haben wir als Petition 150’000 Unterschriften gesammelt, um die Idee zu bestärken. Was stand hinter dieser Idee?
Du hast zuvor die Chemieunfälle erwähnt bzw. -waffen angedeutet. Nach Beendigung des Kalten Kriegs wurde von der sauberen Vernichtung sämtlicher Chemiewaffen gesprochen, ohne dass sie wieder verwendet werden können für neue Zwecke. Als ich selbst in Russland war, konnte ich beobachten wie lasch die Sicherheitsvorschriften für die Lagerung von Chemiewaffen war: Zu tausenden wurden sie in Wellblechhütten gelagert und nur mit einem einfachen Schloss gesichert. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren diese Lager unbewacht und auch die Standorte waren nicht bekannt. Erst durch langwierige Arbeiten erfuhren wir weitere Details. Mit dieser Grundlage konnten wir Dokumente erstellen, welche die dringende Bedeutung der Zerstörung der Chemiewaffen hat. Ich habe mich für den Einsatz der Schweiz in diesem Prozess stark gemacht. Mit Erfolg: Die Schweiz steuerte 16 Mio. Franken für die Umsetzung der Chemiewaffenkonvention bei. Heute werden die Chemiewaffen, wie wir leider Zeuge wurden, wieder eingesetzt, wie z.B. im Syrienkrieg.
Du hast Dich früh für Umweltthemen stark gemacht. Als Parlamentsmitglied kanntest Du den bereits erwähnten Bundesrat Flavio Cotti. Hat er in Bezug auf Dein Anliegen eine zündende Funktion international übernommen? Konnte er international eine Türe öffnen?
Ja das ist richtig. Es war aber auch zentral, dass man durch das Sammeln der 150’000 Unterschriften von unten, also «bottom up», Druck aufbauen und es dem Bundesrat vorlegen konnte. Ich habe auch eine parlamentarische Gruppe Green Cross gegründet, bei welcher viele Parlamentarier:innen dabei waren, die wiederum auch die Petition zur Gründung von Green Cross unterschrieben haben. Damit im Schweizer Parlament weiter für Umweltthemen sensibilisiert werden konnte, habe ich die maledivische Regierung nach Bern eingeladen. Denn die Malediven kämpfen bis heute mit dem ansteigenden Meeresspiegel. Aus Dankbarkeit für diese Einladung haben sie dem Grünen Kreuz einen Wimpel geschenkt. Medial wurde dieses Thema zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgegriffen.
Dann musste zuerst entsprechendes Bewusstsein für die Schweizer Öffentlichkeit geschaffen werden?
Das ist mit vielen Angelegenheiten so, oder? Ähnliches sehen wir heute mit der Klimakrise. Da gibt es sogar wieder Gegenpositionen.
Die Förderung des Bewusstseins für Umweltprobleme war auch damals ein grosses Thema. Ich habe Gorbatschow angefragt, ob er eine Rede vor dem Schweizer Parlament halten möchte, was er auch getan hat. Er hielt eine spannende, gute Rede über Frieden, Abrüstung und wie Gelder eingesetzt werden können. Das war das Credo von uns beiden: Wir waren der Überzeugung, dass Geld gebraucht wird, um den Planeten zu erhalten. Um weitere Sympathisant:innen für unsere Idee zu finden, reisten wir zusammen in die USA. In Kalifornien trafen wir viele Schauspieler:innen, die wir für unsere Mission gewinnen konnten. Ein Multi-Millionär war zudem bereit, das Grüne Kreuz USA zu unterstützen. Bis heute ist das Grüne Kreuz in Kalifornien stark.
Du hast zuvor Michail Gorbatschow erwähnt. Er wird immer wieder als Gründungspräsident von Green Cross neben Dir als Direktor erwähnt. Wie kam dieser Kontakt zustande?
Ich habe ein Telefon aus dem Umkreis von Gorbatschow erhalten und sie meinten, sie würden uns gerne treffen. Sie hatten eine ähnliche Idee wie ich; also die Etablierung einer Umweltorganisation à la Grünes Kreuz. Wir haben uns in New York getroffen und beschlossen, gemeinsame Sache zu machen. Ich habe Gorbatschow als ehrliche und gutmütige Person kennengelernt.
Nach dem Tod von Gorbatschow am 30. August 2022 hast Du dem Schweizer Fernsehen ein Interview gegeben und das SRF hat das Interview mit einem Zitat von Gorbatschow getitelt: «Gorbatschow wollte, dass alle genug haben aber nicht zu viel.»[1]
Ja, ich war erstaunt, weil Gorbatschow eigentlich in Moskau nur in einer 3-Zimmer Wohnung gelebt hat.
Damals entstanden in kurzer Zeit verschiedene neue Ableger, Du erwähntest z.B. die USA oder die Schweiz. Wie sah die Zusammenarbeit mit den anderen nationalen Ablegern aus?
Ich konnte leider aufgrund des damit verbundenen Aufwandes nicht allzu lange bleiben. Gorbatschow machte mich zum Direktor von Green Cross International und es war eine grosse Belastung, weil ich die Hälfte der Woche in Den Haag, dem Sitz einer der besten Green Cross-Ableger, und die restliche Zeit in Genf gewesen bin. Ich muss meiner Frau Marianne danken, die sich zu dieser Zeit vor allem um die Kinder gekümmert hat. Als die Zuständigkeiten neu aufgeteilt werden konnten, war ich froh, denn ich war auch tätig für andere nationale Ableger von Green Cross. Dieser grosse Aufwand wurde mir zu viel.
Gorbatschow und Du waren natürlich auch wichtig für die Gründung von Green Cross Schweiz. Wie siehst Du die Entwicklung von Green Cross Schweiz? Erkennst Du neue Projektmöglichkeiten in Bezug auf Umweltlage und Klimafaktoren?
Die Situation sieht heute sicherlich anders aus. Viele Organisationen haben die Themen aufgegriffen, auf die wir in den 90er Jahren aufmerksam gemacht haben. Ich möchte jedoch auch noch betonen, dass neben den Russen auch die Amerikaner Dinge getan haben, die Mensch und Umwelt geschadet haben, wie der Einsatz von Agent Orange in Vietnam. Aus diesem Grund wollte ich auch, dass sich Green Cross auch in Vietnam engagiert und habe mit freiwilligen Orthopädist:innen und Ärzt:innen, namentlich u.a. Dr. Daniel Hueskes und Dr. Claude Müller Projekte begonnen umzusetzen, welche die durch das Herbizid beeinträchtigten Kinder und Jugendliche behandeln sollten. Ich bin glücklich, dass ihr diese Arbeit auch heute noch fortsetzt.
Zu Deiner Frage, was in Zukunft getan werden könnte. Ich glaube heute müssen Teams mit anderen Organisationen gebildet werden. Denn zusammen kann wesentlich mehr erreicht werden, es entsteht so auch einen grösseren Druck.
Ich habe immer versucht mit anderen zusammenzuarbeiten, auch beim WWF. Natürlich ist das Erreichen der Ziele eine komplexe Arbeit. Vor Herausforderungen wird man immer gestellt und Enttäuschungen müssen verkraftet werden.
Gut, dass Du das erwähnst. Welche besonderen Herausforderungen waren bei der Gründung von Green Cross vorhanden? Traten Rückschläge oder Enttäuschungen auf?
Nein, die Gründungsphase von Green Cross lief sehr gut, weil es mit dem Namen «Gorbatschow» verbunden war. Erst später kamen Kleinigkeiten dazu, wie z.B. die Tatsache, dass rechtsbürgerliche Kreise im Parlament die Rede von Gorbatschow verhindern wollten. Generell musste ich auch aufgrund des Stresses loslassen. Denn Stress macht – wie wir wissen – auch krank.
Ja, so erleben wir Dich auch bei Green Cross Schweiz. Du warst an unserem Charity Event präsent, bist unser Interviewpartner und dennoch habe ich es nicht erlebt, dass Du Dich hier einmischst.
Ja, wie Du weisst, setzte ich mich ja auch noch für andere Organisationen oder Fragestellungen ein, z.B. Roadcross oder die zunehmende Prämienproblematik. Gleichzeitig war ich froh, die Arbeit an andere zu übergeben, auch bei Green Cross.
Hättest Du noch abschliessend einen Wunsch an Green Cross Schweiz?
Ich denke die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und der Einsatz für die sehr grossen Probleme, wie z.B. die Klimakrise, ist wichtig. Ich könnte mir z.B. vorstellen, dass man wieder die Regierungen von der globalen Erwärmung stark betroffenen Staaten einlädt, wie wir das mit der maledivischen Regierung getan haben. Ich bin überzeugt, dass die Medien diese Themen heute völlig anders aufgreifen würden.
Vielen Dank für Deine Anregung und Deine Teilnahme. Wir freuen uns sehr, dass wir Dich in einem Gespräch kennenlernen durften und wir das gute Einvernehmen weiterführen können.
* Heute wird die internationalisierte Version des Namens, «Green Cross Switzerland» verwendet.
[1] srf.ch/news/schweiz/schweizer-weggefaehrte-gorbatschow-wollte-dass-alle-genug-haben-aber-nicht-zu-viel