Interview mit Projektpartner Peter Jenni

Die Liebe zu Vietnam und seinen Menschen ist es, die das philanthropische Wirken von Peter Jenni antreibt. Zusammen mit seiner Frau Tran Thi Hiep hat der Schweizer, der seit Dezember 2016 in Vietnam lebt, das Charity Project Krong Buk (CPKB) ins Leben gerufen. Dieser Verein mit Sitz in der Schweiz leistet seit 2020 wertvolle soziale Unterstützung für bedürftige Menschen. Darunter sind zahlreiche Betroffene der Spätfolgen des Einsatzes von Agent Orange im Vietnamkrieg. Oft haben sie schwere geistige oder körperliche Behinderungen. Hier liegt auch der Schwerpunkt der Zusammenarbeit mit Green Cross Switzerland (GCCH), welche seit zwei Jahren besteht. Diese Zusammenarbeit bildet eine wertvolle Ergänzung zu den anderen Projekten von GCCH in Vietnam. Das CPKB bringt konkrete Hilfe, Freude und Hoffnung in das Leben von Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Wo möglich ebnet es ihnen auch den Weg zur selbstständigen Verbesserung ihrer Lebensumstände.

Mit dem vorliegenden Interview möchten wir die Person Peter Jenni und die von uns unterstützte Arbeit des CPKB unseren Spenderinnen und Spendern sowie anderen Interessierten näherbringen. Die Fragen stellte GCCH-Mitarbeiter und Historiker Samuel Müller-Zwahlen.

Lieber Peter, wer bist Du? Wie würdest Du Dich beschreiben und wie sieht Dein Lebensweg aus?
Mit einem Wort: ich bin ein „Seebueb“ [Seejunge]. Beschreiben sollten mich eigentlich andere. Aber: ich kann sagen, dass ich ein Mensch mit zwei Heimatländern bin. Einerseits bin ich überzeugter Schweizer Bürger. Andererseits möchte ich meinen zweiten Lebensabschnitt in Vietnam verbringen und habe dieses Land bewusst als zweite Heimat gewählt.
Zurück zum „Seebueb“: Geboren bin ich zwar in Zürich Seebach [nomen est omen!], habe aber den Grossteil meiner Kindheit und Jugend in Rüschlikon am Zürichsee verbracht. Das hat mich sehr stark geprägt. In Rüschlikon gab es ein autonomes Jugendzentrum. Schon im jungen Alter wirkte ich dort im Vorstand mit. Später heiratete ich –  meine zwei Söhne, Marc und Jan, kamen 1990 und 1992 zur Welt. Sie wuchsen am Walensee auf, wo wir über 20 Jahre wohnten.
Auch in Vietnam zog es mich ans Wasser. Ich wollte ein Haus am Meer. Daraus wurde aus zwei Gründen nichts: erstens war das Wohnen am Meer sehr teuer und zweitens hatte ich Bedenken aufgrund des Klimawandels, d.h. wegen des Ansteigens des Meeresspiegels und des häufigeren Auftretens von Stürmen. In der Küstenstadt Nha Trang, wo ich anfangs lebte, habe ich einen solchen Sturm erlebt und kam zum Schluss, dass das nicht in Frage kommt. Dann entdeckte meine Frau ein schönes Grundstück an einem See. Und so kam es dazu, dass ich wieder an einem See lebe.

Es ist also klar: für Dich ist See Heimat.
Ja! Auch heute noch verweile ich jeweils kurz, wenn ich zu einem See komme. Seen geben mir Halt. Der Blick in die Weite, die aber nicht unendlich ist, zieht mich an.

Wie bist Du nach Vietnam gekommen?
Das ist eine etwas längere Geschichte. Ich habe 20 Jahre mit einem 50 %-Pensum Öffentlichkeitsarbeit für die Lebensmittelkontrolle und das Veterinäramt St. Gallen gemacht. Die andere Hälfte meiner Arbeitszeit widmete ich meiner Firma TEXTartelier. Daneben fuhr ich Mountainbike-Rennen. Irgendwann wuchs mir das alles über den Kopf – ein Burnout drohte. Zum Glück holte ich mir noch rechtzeitig Hilfe. Mein Therapeut riet mir zu einer längeren Auszeit. Diese ermöglichte mir der Kanton St. Gallen. Die Zeit nutzte ich für – langsameres – Radfahren. Ich schaute auf die Landkarte und kam auf Vietnam, das ich vorher nicht kannte. So plante ich eine Radtour, die mich von Nord- bis nach Südvietnam führte. Nach ungefähr sechs Wochen kam ich nach Nha Trang – und kam zum Schluss: in Vietnam will ich leben. Das Klima, aber auch die lebensfrohen Menschen hatten es mir angetan. Das Leben hier ist einfacher und wohl deshalb auch fröhlicher als in der Schweiz.
Von einem Hotel in Saigon aus plante ich sodann meine Auswanderung nach Vietnam. Es stellte sich heraus, dass diese gut zu bewerkstelligen sein sollte. In dieser Zeit lernte ich auch meine Frau kennen. Ich ging dann noch für ein Jahr in die Schweiz zurück, verabschiedete mich und bereitete meinen Umzug vor.
Dazwischen kam dann allerdings der Zungenkrebs. Ich musste mich einer Operation und Bestrahlungen unterziehen. Zu den Ärzten sagte ich: Ihr könnt machen, was Ihr wollt, aber Ende Jahr gehe ich nach Vietnam. Einer der Ärzte, ein Kettenraucher mit einem beeindruckenden Bart, fragte mich dann, was ich dort essen würde, mit den durch die Erkrankung eingeschränkten Möglichkeiten. Meine Antwort: Bier essen und Wein trinken! Das überzeugte ihn. Heute komme ich gut zurecht. Auch die medizinische Versorgung ist auf gutem Niveau – leider aber nur für diejenigen, die es sich leisten können.

Gibt es noch andere Dinge, die Dich an Vietnam besonders faszinieren? Was bedrückt Dich allenfalls auch? Wie würdest Du das Land einem Schweizer beschreiben, der es noch nicht aus eigener Anschauung kennt?
Mit gewissen Ausnahmen – wie z.B. Behördengängen –, ist das Leben in Vietnam wirklich sehr viel lockerer und einfacher. In der Regel sind die Leute sehr offen, fröhlich und hilfsbereit. In der Schweiz ist man nicht so daran gewöhnt, dass fremde Leute auf einen zugehen. In Vietnam ist das hingegen üblich. Sehr angenehm finde ich auch, dass man keine Angst zu haben braucht, dass einem das Handy oder Portemonnaie gestohlen wird. Aufpassen muss man hingegen, wenn man eine Frage stellt. Statt „ich weiss es nicht“ könnte gut eine falsche Antwort zurückkommen. Denn man gibt ungern zu, etwas nicht zu wissen. Die Leute schätzen das gemütliche Leben – und sind sehr arbeitsam. Niemand fragt, ob es Samstag oder Sonntag ist. Aber auch für das fröhliche Beisammensein nimmt man sich sehr gerne Zeit, besonders auf dem Land. Allein ist man im Gegensatz zur Schweiz kaum. Damit hängt zusammen, dass das generationenübergreifende Wohnen im gleichen Haus üblich ist. Das ist oft auch nötig, sogar lebensnotwendig. Viele Menschen sind im Alter auf die Unterstützung ihrer Kinder angewiesen. Es gibt kaum Altersheime und die Renten sind sehr tief – sofern man überhaupt eine Rente bekommt. Auf wohlhabendere Zeitgenossen trifft man öfters in der Stadt, z.B. in gehobenen Hotels. Sie sind manchmal protzig im Auftreten. Nicht selten handelt es sich um Neureiche.
Was mich bedrückt: die Armut. Für jemanden, der so lebt wie ich, ist die Armut sehr spürbar.

In diesem Bereich engagierst Du Dich aktiv. Wie ist das Charity Project Krong Buk entstanden?
Wenn ich am Morgen mit meinem Töff das Haus verliess, um z.B. einen Kaffee trinken zu gehen, war ich oft schlecht gelaunt. Dann kann ich aber mit dem Ede-Volk in Kontakt. Das Ede-Volk ist eine in meiner Nachbarschaft lebende Minderheit, die oft in Langhäusern wohnt, welche nur aus einem Raum bestehen. Diese Langhäuser stehen oft in schlammigem, sumpfigem Gebiet. Oft kamen mir dort fröhlich lachende, dreckverschmierte Kinder entgegen. Ihre Freude war ansteckend! Ich fragte mich: warum sind sie so fröhlich? Und warum bin ich, Peter Jenni, ein Miesepeter? Der Wunsch wurde stark in mir, den Kindern etwas zurückzugeben.
Meine Frau erkundigte sich bei der Gemeinde nach den Bedürfnissen der Ede-Kinder. Es stellte sich heraus, dass die Familien oft zu wenig Geld für Schulmaterial wie Bücher, Schreibutensilien oder einen Schulrucksack hatten. Alles müssen die Familien selber finanzieren, auch die Schuluniform. Kinder, deren Familien sich die Schuluniform nicht leisten können, sind von bestimmten Anlässen der Schule ausgeschlossen. Das vietnamesische Schulsystem basiert zudem auf Nachhilfe, über die sich die Lehrerinnen und Lehrer ihren tiefen Lohn aufbessern. Die Eltern müssen das bezahlen. Meine Frau begann also, mit Schulen zu sprechen. Wir finanzierten u.a. Rucksäcke und Schulbücher.
Schnell wurde klar, dass es eine geeignete Struktur für diese Unterstützung brauchte. So entschied ich mich, im schweizerischen Appenzell einen gemeinnützigen Verein zu gründen. Dafür nutzte ich auch meine Kontakte in der Schweiz.

Wie ging es dann weiter?
Rasch trafen erste Spenden ein. Und immer mehr Anfragen um Unterstützung. Seither stehen wir bedürftigen Menschen in unserer Region Đắk Lắk zur Seite. Wir geben nie Geld, sondern leisten immer Sachhilfe – immer auch in Zusammenarbeit mit der Gemeinde, Schulen, der Frauengewerkschaft oder der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV). Ohne diese Partner wäre es uns nicht möglich, effiziente Hilfe zu leisten. Schon die Abklärungen und Kontrollen könnten wir nicht alle selbst durchführen.

Wie überzeugt Ihr Euch aber selbst von der Effektivität Eurer Hilfeleistungen und stellt diese sicher?
Wir evaluieren auch selbst, ob unsere Hilfe angebracht ist. Z.B. erhalten gewisse Agent Orange-betroffene Familien, die uns anfragen, bereits hinreichend Unterstützung aus anderer Quelle. Dann lehnen wir zugunsten anderer ab, die uns dringender brauchen. Was auch gut funktioniert, ist Hilfe zur Selbsthilfe: beispielsweise dass wir eine Kuh, die uns gehört, zur Verfügung stellen und als Gegenleistung einen Teil des erwirtschafteten Erlöses bekommen. Dafür übernehmen wir zudem gewisse Leistungen wie die Finanzierung von tierärztlichen Untersuchungen und Behandlungen. Dieses Modell läuft seit einem Jahr und es treffen bereits erste Zahlungen ein. Statt nur Hilfe zu empfangen, werden die unterstützten Menschen auf diese Weise zu aktiven Partnern. Sie tragen selbst zur Verbesserung ihrer Situation bei und übernehmen Verantwortung.

Wie ist die seit rund zwei Jahren bestehende Zusammenarbeit mit GCCH entstanden?
Bei der Vereinsgründung suchte ich nach Vorstandsmitgliedern. Da kam mir mein lieber Freund, Pfarrer und GCCH-Mitarbeiter Jakob Vetsch in den Sinn. Als erster Journalist schrieb ich damals, vor rund 30 Jahren, über seine Internet-Seelsorge. Zudem war [GCCH-Gründer] Roland Wiederkehr mein Primarlehrer in Seebach. Seine Arbeit habe ich immer etwas verfolgt, allerdings hatten wir nach meiner Schulzeit keinen persönlichen Kontakt mehr. Natürlich verbindet mich auch die Agent Orange-Problematik mit dem Engagement von GCCH. Erst durch die Kooperation wurde mir bewusst, wie stark Ihr Euch in diesem Bereich engagiert. Und auch nachhaltig und effektiv. Es ist toll, dass man mit relativ wenig Spenden-Geldern viel erreichen kann: beispielsweise kann mit nur 300 Franken ein Tagesstättenplatz für ein schwer von Agent Orange geschädigtes Kind für ein ganzes Jahr finanziert werden. Und Angehörige können dadurch arbeiten und die Familie aus der Armut befreien.

Du bist bereits auf Deine Motivation für Dein Engagement eingegangen, könntest Du das bitte noch etwas vertiefen?
Etwa 50 % des Ede-Volkes sind Analphabeten. Meine Meinung ist, dass der erste, zentrale Schritt aus der Armut die Bildung ist. Deshalb legen wir einen Fokus auf die Schule, als Ansatz für eine langfristig wirksame Hilfe. Kleine Hilfen – wie ein Taschenrechner für 8 Franken, den sich die Familie nicht leisten kann – können einen entscheidenden Unterschied machen. Bildung versetzt junge Leute in die Lage, ihre Familie aus der bitteren Armut zu befreien. Z.B. finden sie Arbeit in einer Stadt und können so die Familie unterstützen. Das ist für mich eine zentrale Motivation.
Erst kürzlich haben wir wieder Schulrucksäcke an einer Schule verteilt – die Freude war gewaltig und hat mich tief berührt. Die Kinder sind froh, überhaupt in die Schule gehen zu können. Für vieles, was für uns selbstverständlich ist, sind sie zutiefst dankbar.

Gibt es weitere Erfolgsprojekte, deren Effektivität Du hervorheben würdest?
Ja, neben dem genannten Beispiel der Zusammenarbeit mit Schulen denke ich an Essenslieferungen für sehr bedürftige Personen, die wir dank GCCH bereitstellen können. Gerne zeige ich das am Beispiel einer 80jährigen Frau auf. Ihre 40jährige Tochter ist schwer von Agent Orange geschädigt und auf ständige Betreuung und Pflege angewiesen. Sie kann nur auf dem Bett oder auf dem Boden liegen. Als ich sie das erste Mal sah, schrie sie nur. Es war schwer erträglich. Doch dann wurde mir gesagt, sie freue sich sehr über meinen Besuch. Die Tochter kann nicht in einem Heim betreut werden. Die 80jährige Mutter muss sowohl arbeiten als auch ihre Tochter pflegen. Für 40 Fr. können wir sie und ihre Tochter einen ganz Monat lang mit den nötigsten Lebensmitteln unterstützen – eine kleine Investition, die einen grossen Unterschied macht.
Zudem ist es sehr wertvoll, dass wir Agent Orange-Betroffene identifizieren und medizinische Abklärungen und Hilfe für sie organisieren können. In diesem Bereich arbeiten wir gut mit GCCH, aber z.B. auch mit der DAVA [Da Nang Association for Victims of Agent Orange] zusammen.

Was hat Dich ausserdem besonders emotional geprägt bei der Arbeit?
Allgemein die Begegnung mit Menschen, die besonders schwere Gebrechen haben. Das geht unter die Haut. Es ist manchmal nur schwer erträglich. Aber es gibt einem viel, nicht nur hilflos zuzusehen, sondern aktiv zur Verbesserung der Situation beizutragen. Sehr berührend ist wie beschrieben die grosse Fröhlichkeit und Dankbarkeit. Die Freude der Menschen mit schweren Behinderungen ist für uns z.T. schwer nachzuvollziehen. Von den Angehörigen, die sie gut kennen, wird mir aber versichert: sie freuen sich auch.

Und was war bisher die grösste Herausforderung?
Zentral ist, genügend Spenden für die Projekte zusammenzubekommen. Ansonsten kommen wir mit der Arbeit gut zurecht. Meine Frau ist für den Einkauf von Hilfsgütern zuständig, ich für das Fundraising. Um die Abklärungen für die Hilfsprojekte und deren Durchführung kümmern wir uns gemeinsam.
Ein Problem, das verstärkt bearbeitet werden müsste, wäre das Littering, das in Vietnam eine grosse Herausforderung darstellt. Auch in diesem Bereich könnte man bei der Bildung ansetzen und das Verantwortungsbewusstsein des Menschen, speziell auch der Kinder und Jugendlichen, für die Umwelt fördern.

Was wünschst Du Dir für die Zukunft?
Erst einmal ist es mir ein Anliegen, GCCH zu danken. Die Zusammenarbeit ist auf zwei Arten für mich sehr wertvoll: erstens ist sie für mich eine zusätzliche Verbindung zu meiner zweiten Heimat, der Schweiz. Zweitens macht die Arbeit von GCCH einen substanziellen Unterschied für die Menschen.
Was ich mir wünsche: dass die Arbeit kontinuierlich weitergeführt werden kann. Und dass wir uns weiterhin gegenseitig unterstützen können.

 Wir können den Dank nur von Herzen zurückgeben. Für uns ist es unglaublich wichtig, Partner vor Ort zu haben, die unsere Haltung teilen und denen wir unser Vertrauen schenken können.
Das sehe ich auch so, ich freue mich auf die zukünftige Zusammenarbeit!

Wir auch, lieber Peter – vielen herzlichen Dank für das Gespräch!

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